Jahresbericht 2012

Liebe FreundInnen,

Das neue Jahr hat begonnen und gerne möchte ich Sie über die Arbeit der Stiftung “Neue Familie” informieren.

2012 ereignete sich bei uns viel Neues. Wenn ich das vergangene Jahr Revue passieren lasse, dann kann ich als Hauptthema des Jahres 2012 “die Arbeit mit Jugendlichen” anführen. 

Ab Januar 2012 haben wir begonnen, mit Straßenkindern zu arbeiten. Zu 306 Jugendlichen haben wir Kontakt geknüpft, 91 von ihnen sind Mädchen. Unter dem Begriff  “Straßenkinder” verstehen wir nicht nur obdachlose Kinder und Jugendliche. Nein, sehr oft sind das Kinder, die zwar bei ihren Eltern wohnen und zu Hause übernachten, aber die Mehrheit ihrer Zeit auf Baustellen, in unbewohnten Häusern, also unmittelbar auf der Straße verbringen. Hier erhalten sie verschiedenste Informationen und machen ihre ersten Lebenserfahrungen - nicht immer die richtigen und die besten. Mit unserem Bus kommen wir zu ihnen: auf die Baustellen, in die verlassenen Häuser sowie zu weiteren Jugend-Treffpunkten. In unserem Bus können sie sich bei heißen Getränken aufwärmen, Videos schauen, aber vor allem vertrauensvolle Gespräche führen. Zu diesen Kindern führen uns die Teilnehmer unseres Kinderprojekts, die uns ihren Freunden weiterempfehlen. 147 Jugendliche (davon 43 Mädchen) haben beschlossen, uns zusätzlich in unserem Office aufzusuchen. Sie besuchen unsere Stiftung mehr oder weniger regelmäßig, nehmen dort an Workshops teil, bekommen Beratungen von Psychologen und Juristen, wenn es nötig ist. Manchmal kommen sie mit ihren jüngeren Geschwistern, mit denen unsere Mitarbeiter getrennt in einem anderen Raum malen und basteln, damit sie die Älteren nicht stören. Hier lernen sie, freie Zeit sinnvoll und interessant zu verbringen.  

Ihre Familiengeschichten zerreißen oft unser Herz, aber die Arbeit bringt auch viel Freude. Obwohl die Finanzierung für diese Arbeit durch die „International  HIV/AIDs Alliance“ erfolgt, war in den kalten Wintertagen die zusätzliche Hilfe durch den Verein „Confinis“ sowie einzelne Privatpersonen sehr bald nötig.

Mit Unterstützung durch die „International HIV/AIDS Alliance“ entwickeln wir seit 2002 das „Harm Reduction Program“. Hauptidee dieses Projekts ist die Prophylaktika von HIV zwischen Konsumenten von Injektionsdrogen. Zu unseren KundInnnen gehören 1893 Süchtige, die Injektionsdrogen konsumieren. Im Rahmen des Spritzentauschs haben wir von diesen Menschen 20.506 benutzte Spritzen eingesammelt und entsorgt. Wir bauen Brücken zwischen dieser Schicht der Gesellschaft und den offiziellen Ämtern sowie in erster Linie zur medizinischen Versorgung. Diese Arbeit ist sehr mannigfaltig und reicht von der Hilfe zur Bildung von Selbsthilfegruppen bis zur Organisation von ärztlichen Beratungen. Im Rahmen dieses Projekts arbeiten wir getrennt mit Frauen: mit Süchtigen und mit Sexarbeiterinnen. 

Die „International Alliance for HIV/AIDS“ finanziert auch unsere Arbeit mit jenen Süchtigen, die Ersatzdrogen ( Metadon oder Buprimorphyn) nehmen. Insgesamt betreuen wir 72 Personen, 16 davon sind Frauen. Offiziell ist die Ersatztherapie nicht besonders beliebt. Viele Beamten meinen immer noch, dass es zur Unterstützung von Drogenkonsum führt. Leider braucht die Arbeit mit Behörden sehr viel Zeit, Geduld und Nerven.  

Darum schätzen wir ganz besonders die Hilfe unserer österreichischen Unterstützer: das Stadtmagistrat Wien, die ERSTE Privatstiftung und der Verein „Confinis“, der schon im Laufe der letzten drei Jahre die Ausbildungsbesuche organisiert und vier Beamtengruppen aus Czernowitz nach Wien eingeladen und ihnen gezeigt hat, wie die Arbeit im Drogenbereich in Wien funktioniert. Dieses Projekt hat gezeigt, dass das Wissen über die westlichen Erfahrungen im Bereich der Prophylaktika lebenswichtig für die Ukraine ist. Man kann viel davon lesen, aber mit eigenen Augen zu sehen, wirkt viel mehr. Unser Sprichwort lautet: „ Besser einmal zu sehen, als siebenmal zu hören“. Und das stimmt: je mehr Leute die Erfolge in anderen Ländern in diesem Bereich sehen, desto mehr Chancen hat unser Land in der Zukunft. Alle Mitglieder der Ausbildungsreisen haben bestätigt, dass die Reise eine „Explosion“ war: ihr Bewusstsein wurde „in die Luft gesprengt“, ihre Weltanschauung erweitert, ihre Einstellung zu Sucht und suchtkranken Leuten völlig geändert. Das Programm hat viele Vorstellungen zerstört, aber auch einen möglichen Weg gezeigt. 

Auch unsere Stiftung profitiert von solchen Besuchen: unsere Autorität und Kompetenz ist dadurch stark gewachsen.

Ein ganz konkretes Beispiel: 2011 war die Leiterin der Abteilung für Jugendliche und Familie in Wien, und schon 2012 haben wir von der Stadt Czernowitz einen kleinen Raum zur Benützung als Tages-Reha-Zentrum (TRZ) bekommen. Zum ersten Mal nach 12 Jahren unserer Arbeit zahlen wir keine Miete. Und wir führen jetzt in diesem Raum sogar von Zeit zu Zeit die Workshops für Mitarbeiter des Sozialen Dienstes des Stadtmagistrats Czernowitz (Foto in der Anlage) durch. 

Dank der Unterstützung der Sarah Dürmüller  & Hans Neufeld Stiftung (Schweiz), des Rotary Club Basel (Schweiz), dem Bundesland Kärnten und der ERSTE Privatstiftung mit dem Verein „Confinis“ und dem Sportverein „Speed4need“(alle Österreich) haben wir in diesen Räumen die nötigen Reparaturen und Umbauten vorgenommen und im Juli 2012 die schon lange geplante und angestrebte Arbeit begonnen: die Rehabilitation.

Diese neue Richtung unserer Arbeit entstand selbstverständlich nicht erst heute. Die Rolle der Rehabilitation war von Anfang an klar bei der Arbeit mit KundInnen. Wir haben jede Möglichkeit genützt, um die Erfahrungen der führenden Rehabilitationszentren verschiedenster Arten und Methoden in Österreich (Grüner Kreis, SHH, Dialog, Justizanstalt Wien-Favoriten usw.), in Polen und in den Niederlanden zu studieren. 

Wir möchten durch ein Angebot von attraktiven Tagesstrukturen die Leute von der Straße wegbringen, eine drogenfreien Zone schaffen und eine soziale Eingliederungshilfe für Süchtige anbieten.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert „Gesundheit“ folgendermaßen: „Gesundheit ist mehr als die Abwesenheit organischer Krankheit. Gesundheit ist körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden“. Ausgehend davon sind in unserem Konzept der Arbeit des Tageszentrums drei Hauptblöcke nach folgenden Themen vorgesehen:

-        Körperliche Gesundheitsförderung

Dazu gehören Basisinformationen in verschiedenen Formen (Informationsunterricht, Video usw.) über Körperstruktur, innere Organe und deren Funktionen, Atem, Wasser, gesunde Ernährung, Körperpsychologie und Sportunterricht (kein Leistungssport, eher Körperkultur). 2 Mal die Woche wird in einer gemieteten Sporthalle informiert.

-        Psychische Gesundheitsförderung

Psychologische Blöcke: Treffen und Abschiede, Scham und Schuld, Beleidigungen und Verzeihung, „Ich und die Anderen“, Arbeit mit einer Sandtherapeutin, Partnerberatungen. Alle psychologischen Themen werden in der Richtung der positiven Psychologie mit Betonung der kleinen Erfolge und der positiven Lebenserfahrung erarbeitet.

-        Soziale Wiedereingliederung

Zu diesem Block gehören die Vorbereitung zum (Wieder-)Einstieg in den Arbeitsprozess wie klare Tagesstruktur, Prioritäten, Bewerbung und Aus- und Weiterbildung. Ein sehr wichtiges Thema für die Süchtigen ist das Geld (Schulden, Kredite usw.). Darum ist eine ganze Reihe von Einheiten zum Thema „Finanzkultur“ vorgesehen. 

Die KlientInnen unseres TRZ teilen wir in folgende Gruppen:

-        Jugendliche im Alter von 12 bis 19 Jahren, die eine Konsumerfahrung von nicht-injizierten Drogen haben und danach streben, mit dem Drogenkonsum aufzuhören und gesund zu leben - s.g. Gruppe der Jugendlichen.

-         KlientInnen über 20 Jahre, die verschiedene, auch injizierte Drogen konsumieren und den Wunsch haben, ein neues drogenfreies Leben zu beginnen - s.g. Gruppe der Älteren.

-         KlientInnen, die Ersatzdrogen nehmen und den Wunsch haben, die Dosis zu reduzieren bis hin zur völligen Einstellung ihres Drogenkonsums. Zu dieser Gruppe gehören auch diejenigen, die bereits keine Drogen mehr nehmen, die aber Unterstützung zur Prophylaktika von Rückfällen brauchen - s.g. Kontrollgruppe.

Mit Stand 01.01.2013 zählt das TRZ 34 KlientInnen. Obwohl wir erst weniger als ein halbes Jahr arbeiten, sind wir auf unsere Erfolge stolz. Im TRZ wächst und blüht der “Baum des Erfolgs”. Auf dessen Blüten schreiben die KlientInnen ihre Erfolge - dort kann man z. B. lesen:

-        Bin in die Schule zurückgekehrt

-        Wie lange habe ich keine heiße Suppe gegessen

In die Tagebücher des TRZ schreiben auch viele ältere KlientInnen über deren Erfolge:

-        Rauche nicht mehr. Habe Metadondosis von 140 mg auf 10 mg reduziert.

-        Habe Metadondosis von 25 mg auf 5 mg reduziert und nehme sie nicht mehr täglich, sondern nur jeden dritten Tag. Plane in einem Monat mit dem Konsum gänzlich aufzuhören usw. 

3 KlientInnen sind sauber: über 70 Tage, über 60 Tage und über 50 Tage.

Die gesamte Arbeit mit den KlientInnen ist dokumentiert.

Hinter diesen Zahlen steht eine große Arbeitsleistung:  sowohl der KlientInnen selbst, als auch unserer MitarbeiterInnen. Der Kunde, der über 70 Tage clean ist, hat über 50 Arbeitseinheiten bei uns besucht! Und wie interessant und wichtig muss der Aufenthalt bei uns im TRZ sein, dass die Süchtigen uns freiwillig regelmäßig besuchen. In der Ukraine gibt es kein Programm “Therapie statt Strafe”. Es gibt keinen Zwang durch die Polizei, zu uns zu kommen. 

Als Erfolg erachten wir auch, dass uns viele unseren KlientInnen eigentlich öfter besuchen möchten. Doch leider ist auf Grund der begrenzten räumlichen Möglichkeiten die Arbeit mit verschiedenen Gruppen nur an verschiedenen Tagen und nur zu bestimmten Zeiten möglich. Darum können wir im Moment lediglich die Zahl der individuellen Arbeiten vergrößern. Einige Photos aus dem Alltag des TRZ sind beigelegt.

Wir erkennen sehr gut, dass das Tages-Reha-Zentrum (TRZ) hilft, die Folgen des Drogenkonsums zu mindern oder sogar zu beseitigen. Es wäre jedoch viel besser, würden Jugendliche Drogen überhaupt erst nicht probieren - wie giftige Pilze. Tausend Menschen sammeln im Wald Stein- und Butterpilze und gehen an den giftigen Pilzen vorbei. So ist es auch mit den Drogen: sie sind überall und wir versuchen, Fertigkeiten zu entwickeln, Drogen wie giftige Pilze nicht zu berühren. Eines unserer Mittel hierfür ist das Schulprojekt in den Grund-/Volksschulen der Stadt. 

Wir bedanken uns bei unseren Schweizer Freunden, der Sarah Dürmüller  & Hans Neufeld-Stiftung, dem Rotary Club Basel, der Stiftung der Clivo und dem Verein Lifeline , sowie dem Bundesland Kärnten und dem Verein „Confinis“ aus Österreich sowie bei zahlreichen Privatpersonen, die es uns ermöglichen, die Arbeit in 28 (von 48) Grund/Volksschulen der Stadt unser Programm “Gesundheit mit Spaß“ durchzuführen. 2.310 Schulkinder und 573 Eltern haben an diesem Programm teilgenommen. Elf Arten von Informations- und Methodikmaterialien haben wir ausgearbeitet und in einer Auflage von 8.700 Exemplaren gedruckt. Einige Photos, die wir beilegen, geben eine Vorstellung, wie gerne die Kinder mitmachen. 

Als Ergänzung zu unserem Schulprojekt arbeiten wir mittels Unterstützung des GIZ (Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, Deutschland) mit Schulkindern der VII. und VIII. Klasse. Unsere Stiftung hat die Gründung von 10 Kunst-Werkstätten in den Schulen nicht nur der Stadt, sondern auch auf dem Lande initiiert und geleitet. Immer mehr und mehr hören wir über die Computersucht. Der Computer ist ein untrennbarer Teil unseres Lebens geworden. Unsere Idee waren eigentlich zwei in einer: 

-        zu zeigen, dass Computer nicht nur zum Spielen zu benützen sind, sondern dass diese viel mehr anbieten;

-        Informationen über HIV/AIDS, Tuberkulose und Hepatitis den Jugendlichen näher zu bringen.

 Mit eigenen Händen haben die Schulkinder kreative Trickfilme zu oben erwähnten Themen geschaffen - insgesamt haben die Kinder 28 Trickfilme fertiggestellt. Diese Filme haben fast 5.000 Schüler in 68 Schulen gesehen und die besten ausgewählt. Auch die Kommission der Erwachsenen hat die Filme gelobt. Wenn Sie Interesse haben, dann können Sie die besten Arbeiten der Kinder zu jedem Thema im Internet finden:  

 

Auf einem der beigefügten Photos  sehen Sie einen Jungen, der Altersgenossen chemische Reaktionen zeigt. Dieser Junge ist ein ehemaliger Teilnehmer des Kinderprojekts unserer Stiftung. 2012 hat er zwei Mal den besten Ergebnissen in Chemie-Olympiade (Stadt und Gebiet) gezeigt. Obwohl das Schuljahr noch nicht zu Ende ist, hat er die Einladung der Uni Czernowitz bekommen, dort kostenlos zu studieren. Er besucht unsere Stiftung weiter, aber nicht als Klient, sondern als Helfer. Und am Photo zeigt er die Wirkung von energetischen Getränken an KlientInnen der jüngsten Gruppe unseres Tages-Reha-Zentrums. Im Schicksal dieses Jungen ist ein Teilchen von Jedem, der 6 Jahre lang unser Kinderprojekt unterstützt hat. 




21 Kinder unserer KlientInnen im Alter von 4 bis 15 Jahren besuchen jeden Samstag unser Kinderprojekt. Nach 1,5 Stunden Arbeit (Workshops, Basteln, Malen usw.) bekommen sie ein reichliches warmes Mittagessen in einem der Restaurants im Zentrum der Stadt. 2012 haben wir Hilfe für diese Arbeit von der Sarah Dürmüller  & Hans Neufeld Stiftung (Schweiz), der Partnerschaft für Osteuropa Coswig (Deutschland) und von Soroptimist Grenaa (Dänemark) erhalten. 

Und noch eine Neuigkeit . Viele von Ihnen erinnern sich, dass wir 2007 mit Ihrer Hilfe eine Wohnung gekauft haben. Dort planten wir ein TRZ zu eröffnen. Wir hatten für das Projekt ein Architekturbüro engagiert und fast alle Genehmigungen eingeholt, um die Bauarbeiten zu beginnen. Die letzte Genehmigungsinstanz informierte uns jedoch, dass unsere Bauarbeiten nicht begonnen werden können, da das Haus, in dem sich unsere Wohnung befindet, abgetragen werde und an dieser Stelle ein Hotel gebaut werden würde. 5 Jahre sind nun vergangen - und es hat sich nichts geändert: das Haus wurde nicht abgerissen und kein Hotel gebaut. Nur unsere Wohnung verfällt. Lange haben wir nach einem Käufer gesucht und Ende des Jahres einen gefunden: 2013 verkaufen wir die Wohnung.

Wir bedanken uns bei den Reisebüros Ex Oriente Lux (Deutschland), Marco der Pole (Polen), GAEA – Tours (Schweiz), die 2012 die Besichtigung unserer Stiftung in ihre Reiseprogramme eingeführt haben. Einige ReiseteilnehmerInnen sind zu unseren Freunden und Sponsoren geworden. 

Dank allen  Sponsoren hatten wir 2012 insgesamt 192.000 Euro für unsere Projekte zur Verfügung. Herzlichen Dank dafür!

Wir konnten 2012 viele Leute bei uns in der Stiftung begrüßen und hätten uns gefreut, wenn wir noch mehr Besuch bekommen hätten. Wir wünschen Ihnen allen alles Gute für 2013 und wenn Sie uns nicht besuchen können, wären wir auch glücklich, schriftlich oder telephonisch von Ihnen zu hören.

Mit Dankbarkeit   

im Namen des Teams

 

Ihre Tanja Berezhnaya

Präsidentin der Stiftung „New Family“

“Wahrheit über HIV”

Prophylaktika von Tuberkulose

Märchen “Wie die Leber sein Leben gerettet hatte”.